Der einfluss als form der machtausübung in der europäischen union

AuthorCristina Hermida del Llano
PositionProfessorin für Rechtsphilosophie an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid
Pages1-16
1
DER EINFLUSS ALS FORM DER MACHTAUSÜBUNG
IN DER EUROPÄISCHEN UNION
1
Dr. Cristina Hermida DEL LLANO
2
Professorin für Rechtsphilosophie an der Universität Rey Juan Carlos in Madrid
Zusammenfassung
Die Gemeinschaftsrechtsordnung (seit dem Vertrag von Lissabon
3
die
Unionsrechtsordnung) und die nationalen Rechtsordnungen bilden getrennte und
verschiedene Rechtsordnungen, welche jedoch nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern
miteinander verbunden und für eine gegenseitige Beeinflussung offen sind. Der Begriff des
Einflusses erhielt zahlreiche Definitionen in der juristisch-politischen Literatur; trotzdem
sollten keine Zweifel darüber bestehen, dass der Einfluss eine „Beziehung zwischen
Akteuren“ ist, in welcher ein Akteur andere Akteure dazu veranlasst, auf eine bestimmte
Weise zu handeln
4
. March
5
und Simon
6
betonten, dass wir einem besonderen Fall de
Kausalität gegenüberstehen, nämlich einer Kausalität, die den Lauf der Handlungen anderer
verändert. Der Einfluss verweist uns deshalb auf das Studium über die Bestimmung des
menschlichen Verhaltens
7
. Mit diesem Thema beschäftigte sich auch der berühmte deutsche
Soziologe Max Weber im Rahmen seiner Forschung über die Bedeutung von Macht und
legitimer Herrschaft
8
.
Schlüssel-Worte: Die Gemeinschaftsrechtsordnung, Vertrag von Lissabon,
Unionsrechtsordnung.
Der Begriff der Macht wird gewöhnlich mit Zwangsmitteln und Verhängung drastischer
Sanktionen, sowohl negativer wie auch positiver, in Verbindung gebracht
9
; der Begriff des
1
Dieser Artikel ist Teil des Forschungsprojekts <>,
Spanisches Ministerium für Wissenschaft und Innovation DER2008-06063/JURI.
Ohne die grosszügige Hilfe von Barbara Kölbeck bei Übersetzungsfragen wäre dieser Artikel, der in seiner
ersten Fassung als Vortrag für das Rechtsphilosophisches Donnerstag-Seminar von Dr. Philips in München
gehalten wurde (6. Mai. 2010), nicht zustande gekommen.
2
E-mail: cristina.hermida@urjc.es
3
Vertrag über die Europäische Union (EUV) vom 7. Februar 1992 (BGB1. 1992 II S. 1251), zuletzt
geändert durch den Vertrag von Lissabon v. 13.12.2007, AB1 Nr. C 306/1 v. 17.12.2007 unter Berücksichtigung
der Änderungen durch gas Protokoll über die Berichtigung des Vertrags von Lissabon, AB1 Nr. C 290/1 v.
30.11.2009. Vid. Der Vertrag von Lissabon. EU-Vertrag, Vertrag über die Arbeitsweise der EU –Konsolidierte
Fassungen-. Herausgegeben von Prof. Dr. Rolf Schwartmann. C.f. Müller Verlag, Heidelberg, 2010.
4
Robert Dahl, Análisis sociólogo de la política, Verlag Fontanella, Barcelona, 1968, S. 52.
5
J. G. March, <>, American Political Science
Review, 49, 1955, S. 431-451.
6
H. A. Simon, Models of Man, Wiley, New York, 1957.
7
V gl. dazu Dorwin Cartwright, <>, in: Handbook of Organizations, op.
cit., S. 3.
8
Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen, 1922, S. 28.
9
Sergio Daniel Labourdette, El poder. Hacia una teoría sistemática, Belgrano, Buenos Aires, 1984, S. 47-48.
2
Einflusses dagegen ist belegt mit den Überzeugungs/Überredungsmitteln der sozialen
Beziehungen
10
. Letztendlich stellt sich der Einfluss als Überzeugungs/Überredungs
schlechthin dar, und zwar als Form der Machtausübung
11
, auf welche gewöhnlich
zurückgegriffen wird, weil sie als diejenige angesehen wird, die sich am besten an das soziale
und demokratische Rechtssystem anpasst
12
.
Wenn die vernünftige Überzeugung/Überredung sowie der Betrug und die Täuschung
Formen der Beeinflussung, mithin der Macht, darstellen, dann sollte noch hinzugefügt
werden, dass Versprechungen von Belohnungen und Strafandrohungen eine Art der
besonderen Überzeugung/Überredung und Abschreckung sein können. Wie Oppenheim
aufzeigt enthalten Beziehungen, welche auf Austausch gerichtet sind, normalerweise Zusagen
gegenseitiger Belohnung; somit kann dieser Austausch unter dem Begriff gegenseitiger
Beziehungen von Macht analysiert werden
13
. Genau dies spielt sich zwischen der
Rechtsordnung der Europäischen Union und den nationalen Rechtsordnungen der
Mitgliedstaaten ab, was darauf zurückzuführen ist, dass das Recht der Union ein Recht der
Integration ist, welches im Voraus von den Mitgliedsstaaten vereinbart wurde und das
manche als Souveränitätsverzicht durch die vorherige Kompetenzübertragung erklären.
Die Ausarbeitung der allgemeinen Rechtsgrundsätze, welche dem Integrationsprozess
der Rechtsordnungen der Union und der Mitgliedstaaten als Rückgrat dienen werden,
verdanken wir der Arbeit, welche im Wesentlichen der Europäische Gerichtshof (seit dem
Vertrag von Lissabon Gerichtshof der Europäischen Union) und in geringerem Maße die
Lehre verrichtete. Ich beziehe mich auf das Prinzip der unmittelbaren Anwendbarkeit des
Unionsrechts und das Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts
14
. Diese beiden
Prinzipien sind gute Beispiele dafür, wie uns die Beziehungen zwischen Rechtsordnungen im
Grunde genommen auf ein Problem der Beziehungen des Einflusses, und letztendlich der
Macht, verweisen. Im Wesentlichen steht die Unionsrechtsordnung in einer vertikalen
Machtbeziehung zu den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, welche der Überwachung
bedarf, damit es eine einheitliche, gleiche und harmonisierte Auslegung des Unionsrechts
seitens der Richter in Luxemburg gibt.
Das Prinzip der unmittelbaren Anwendbarkeit des Unionsrechts
15
ist ein allgemeiner
Rechtsgrundsatz der Union mit strukturellem Charakter in dem Sinne, dass es sich nicht
damit beschäftigt, ethisch-juristische Werte oder Inhalte zu statuieren. Seine Mission besteht
vielmehr darin, die Beziehungen zwischen den Rechtsordnungen, also zwischen der
10
T. B. Bottomore, La élite administrativa, in: I. Horrowitz, La nueva sociología, Verlag Amorrortu, Buenos
Aires, Band II, S. 138-139, dieser führt d azu aus: die Beeinflussung ist die Fähigkeit „eines Einzelnen oder einer
Gruppe, unter besonderen Umständen, durch Überredung den Kurs eines jeden beliebigen, d er Macht inne hat, zu
verändern“. Ebenso schreiben Harold Lasswell und Abraham Kaplan, Power a nd Society, New Haven, Yale
University Press, 1950: „Die Macht als Teilnahme im Entscheidungsprozess zu definieren ergänzt… die
Bereitschaft zu Strafen für den Fall, dass die Wirkungen nicht eintreten. Es ist die Androhung von Strafen, welche
die Macht allgemein von der Beeinflussung unterscheidet.“, S. 75-76.
11
In diese Linie fügt sich Felix E. Oppenheim ein, für welchen die Beeinflussung eine Unterkategorie der
Macht darstellt, und nicht umgekehrt oder der Macht fremd ist. Felix E. Oppenheim, Conceptos políticos. Una
reconstrucción, Tecnos, Madrid, 1987, S. 19.
12
Hervorragende Veröffentlichungen zu diesem Thema können wir in folgenden Werken finden: C. I.
Hovland, <>, in: G. Lindzey (Verleger), Handbook of social
psychology, Addison-Wesley, Cambridge, 1954, S. 1062-1103, und J. T. Klapper, The effects of mass
communication, Free Press, Glencoe III, 1960.
13
Felix E. Oppenheim, Conceptos políticos. Una reconstrucción, op. cit., S. 20.
14
Rudolf Geiger, Grundgesetz und Völkerrecht mit Europarecht, Verlag C.H. Beck, München, 2009, S.
220-226.
15
Waltraud Hakenberg: Europarecht, Verlag Franz Vahlen. 5. Auflage, München, 2010, S. 63-64.
3
europäischen Rechtsordnung der Union und den nationalen Rechtsordnungen der
Mitgliedstaaten, zu regeln. Vorliegend haben wir einen hervorragenden Beweis dafür, wie der
luxemburgische Gerichtshof nicht nur Macht innehat, sondern ausübt und zwar ab dem
Moment, in welchem er die Beziehungen regelt und entscheidet, wie die Beziehungen
zwischen den Rechtsordnungen sein sollen. Die Grundlage des Prinzips der unmittelbaren
Anwendbarkeit des Unionsrechts im Bereich der Beziehungen zwischen den
Rechtsordnungen findet sich im Geist der Gründungsverträge, kurz gesagt im Unionsrecht.
Die Privatpersonen hoffen, dass sie sich im ganzen Herrschaftsgebiet der Europäischen
Union auf ein einheitliches und harmonisiertes Recht berufen können und dass dieses Recht
zudem seitens der entsprechenden Rechtsprechungsorgane auf nationaler Ebene in ähnlicher
Weise anwendbar ist. Wir müssen berücksichtigen, dass die letzten Adressaten der Verträge,
wenn wir an den aktuellen Vertrag von Lissabon denken, nicht die Mitgliedstaaten der
Europäischen Union sind, sondern die (natürlichen oder juristischen) Personen. Dieses Ziel,
das der Vertrag verfolgt, steht im Einklang mit dem Prinzip der unmittelbaren Anwendbarkeit
des Unionsrechts, zumal es die Integration der Normen des Europarechtsgesetzgebers in die
nationalen Rechtsordnungen favorisiert. Meines Erachtens bewirkt die Tatsache, dass der
Gerichtshof der Europäischen Union die einheitliche Auslegung des Unionsrechts sicherstellt,
dass eines der lobenswertesten Ziele im Rahmen der Europäischen Union erreicht wird: die
Gleichheit von Rechten und Pflichten der Rechtssubjekte.
Wie Hakenberg betonte: „Die unmittelbare Anwendbarkeit wurde ebenfalls vom EuGH
entwickelt und war da dem herkömmlichen Völkerrecht fremd, für viele Mitgliedstaaten
anfangs schwer nachzuvollziehen.
Der EuGH hat in einer umfangreichen Rechtsprechung viele Vorschriften der
Gründungsverträge, also des primären Unionsrechts, daraufhin untersucht, ob sie überhaupt
geeignet sind, unmittelbar Anwendung zu finden. Dies war vor allem deshalb schwierig, weil
manche Vorschriften von ihrer Formulierung her oft eine klare Handlungsanweisung nicht
erkennen lassen. Im Zweifel sprach sich der EuGH jedoch meist für die unmittelbare
Anwendbarkeit aus. Der grundlegende Fall war: Van Gend en Loos (EuGH, Urteil vom 5.
Februar 1963, 26/62, Slg. S. 3) (...). Der EuGH wandte diese Rechtsprechung später auch auf
Handlungspflichten, nicht nur Unterlassungspflichten, an, und erweiterte sie auch auf das
sekundäre Unionsrecht. Dies war ohne grösseres Problem möglich für Verordnungen und für
Beschlüsse, die schon von ihrer Definition her für den Adressaten unmittelbar anwendbar
sind. Ein grösseres Problem stellte sich jedoch bei Richtlinien, die bekanntlich nur
hinsichtlich der Ziele verbindlich sind“
16
.
Ein allgemeineres Problem im Bezug auf die Beziehungen zwischen Rechtsordnungen
stellt die Möglichkeit der Kollision einer Norm des Unionsrechts mit einer nationalen Norm
eines Mitgliedstaates dar. So wie es sich eben im Fall der unmittelbaren Anwendbarkeit
verhielt, so stehen wir auch hier vor einem grundlegenden Prinzip der Unionsrechtsordnung,
welches wiederum die Beziehungen zwischen den Rechtsordnungen regelt. Dieses Prinzip,
nämlich der Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts, liefert auch einen Beweis für
die komplexen Verflechtungen der Machtbeziehungen und ging ebenfalls aus der
Rechtsprechung hervor, welche vom Gerichtshof der Europäischen Union bewahrt wird. Als
paradigmatische Entscheidungen sollten an dieser Stelle Costa c. ENEL
17
und Simmenthal
18
genannt werden. Wie es Arndt/Fischer klargestellt hat: „Der Gerichtshof gibt dabei einem
16
Vid. Waltraud Hakenberg: Europarecht, Verlag Franz Vahlen. 5. Auflage, München, 2010, S. 63-64.
17
Rechtssache 6/64, Entscheidung vom 15. Juli 1964.
18
Rechtssache 106/77, Entscheidung vom 9. März 1978.
4
autonomen europarechtlichen Ansatz der Vorzug und begründet den Vorrang de EU-Rechts
vor allem mit der Funktion der EG als Rechtsgemeinschaft, die einen effektiven Schutz der
subjektiven Gemeinschaftsrechte verlangt“
19
.
Das Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts beinhaltet insbesondere
folgende zwei zentrale Ideen, welche von den Richtern in Luxemburg hervorgehoben
wurden: erstens findet sich die Quelle des Prinzips des Anwendungsvorrangs nicht in den
Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten, sondern im Unionsrecht; zweitens stellt das Prinzip
des Vorrangs einen Grundpfeiler des Unionsrechts dar und ergibt sich gerade aus der
Besonderheit der Europäischen Union als Staatenverbund sui generis. Es muss klar sein, dass
sich die Grundlage des Prinzips des Vorrangs nicht in der Normenhierarchie befindet,
sondern in der Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den
Mitgliedsstaaten. Wenn die Mitgliedsländer der Europäischen Union in bestimmten
Bereichen auf die Ausübung ihrer Hoheitsgewalt verzichten würden, so ist es
selbstverständlich, dass im Falle eines Normkonflikts in diesen Bereichen, die Normen der
Europäischen Union gültig und anwendbar sein werden. Die Unionsrechtsordnung geht vor
und setzt sich gegenüber den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten in den
Bereichen durch, in welchen vorab eine Übertragung von Hoheitsrechten auf die Union
stattfand. Damit haben die nationalen Organe sowohl aus europäischer Sicht als auch aus
nationaler Sicht im Kollisionsfall die rechtliche Verpflichtung, die Unionsrechtsnormen
vorrangig vor den eigenen nationalen Normen anzuwenden. Abermals sind wir an dieser
Stelle hinsichtlich des Prinzips des Vorrangs des Unionsrechts mit einer grundlegenden
strukturellen Norm, deren Auftrag es ist, die bestehende Beziehung zwischen zwei
Rechtsordnungen zu regeln, konfrontiert: der europäischen Unionsrechtsordnung und der
nationalen Mitgliedstaatsrechtsordnungen. „Das Prinzip des Vorrangs des Unionsrechts
statuiert nicht nur den Vorrang der Normen der Union vor dem nationalen Recht der
Mitgliedsstaaten. Es berührt auch die Kompetenzen der entsprechenden
Rechtsprechungsorgane, denn es obliegt dem Gerichtshof der Europäischen Union, und nicht
den nationalen Gerichten, die Reichweite des Vorrangs zu bestimmen, indem er den
Anwendungsbereich der Normen der Union auslegt. Folglich bestimmt er auch indirekt die
Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit einer nationalen Norm mit Unionsrecht. Indem er im
Zusammenhang mit der Rechtssache des Hauptverfahrens, welche auf nationaler Ebene
stattfindet, die richtige Auslegung der Unionsrechtsnorm definiert, bestimmt er ebenfalls,
wenn auch implizit, die Gültigkeit der nationalen Norm“
20
.
Meines Erachtens sollte dies weder als Verletzung des Gewaltenteilungsgrundsatzes
verstanden werden, noch als Exzess oder Missbrauch richterlicher Rechtsfortbildung, wie
damals die italienische Regierung in der Rechtssache Simmenthal für den Fall anführte, dass
das nationale Gericht aus eigener Entscheidungsbefugnis ein nationales Gesetz unangewendet
lässt und zwar aus dem einfachen Grund, dass der Gerichtshof urteilt, dass es mit Unionsrecht
unvereinbar ist. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass das Unionsrecht in dem
Verzicht auf staatliche Souveränität in bestimmten Bereichen gründet, welche im Voraus
vereinbart wurden.
Dieser Vorrang „en bloc“ der Unionsrechtsnormen gilt hinsichtlich aller Normen der
nationalen Rechtsordnung, auch solcher Normen mit Verfassungsrang. Dieses Prinzip hat
ernste Probleme hervorgerufen, insbesondere im Bereich der Grundrechte, und zwar im
19
Arndt/Fischer: Europarecht, C.F. Müller, 9ª Auflage, Heidelberg, 2008, S. 99-100.
20
Siehe Gregorio Robles Morchón: Pluralismo jurídico y relaciones intersistémicas. Ensayo de Teoría
comunicacional del derecho, Aranzadi, Navarra, 2007, S. 131.
5
Wesentlichen bevor die Europäische Union über eine eigene Grundrechtscharta verfügte. Wie
wir wissen wurde eine solche nun nach vielen Anstrengungen in den Vertrag von Lissabon
eingegliedert. Um dies zu verstehen, reicht es, an die Rebellion zu erinnern, welche von
einigen nationalen (deutschen und italienischen) Gerichten hervorgerufen wurde. Diese
weigerten sich nämlich den Vorrang des Unionsrechts anzuerkennen, solange der Gerichtshof
in Luxemburg und die europäischen Institutionen nicht einen Grundrechtsschutz garantierten,
welcher dem Standard der jeweiligen Verfassungen entspräche, d. h. ein dem Bonner
Grundgesetz von 1949 und der italienischen „Costituzione“ von 1947 vergleichbarer
Grundrechtsschutz. In diesem Zusammenhang machte Chueca Sancho darauf aufmerksam,
dass „mangels eines europäischen Systems zum Grundrechtsschutz die Rechtsordnung der
Europäischen Union der bedeutenden und nicht nur rein theoretischen Gefahr einer
<> oder <> ausgesetzt würde; die
<> würde im Namen solcher Rechte und durch die nationalen
Schutzmechanismen erfolgen.
Die <> konnte zudem von nationalen Organen, wie etwa den
Verfassungsgerichten, anerkannt werden“
21
. Wie Pernice
22
oder Salinas de Frías
23
aufzeigen
war es kein Zufall, dass die Beschwerden ein besonderes Echo in jenen Mitgliedsstaaten
fanden, welche durch den Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren, blutige Erfahrungen
durch ihre totalitären Regime erlitten hatten, und daher über eine starre Verfassung verfügten,
in welcher ein sehr ausgeprägtes Grundrechtsschutzsystem mit besonderen
verfassungsrechtlich garantierten Rechten diesbezüglich verankert war.
Seitens des deutschen Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe wird seit 1963 behauptet,
dass die Grundrechte sowohl für den nationalen sowie für den europäischen Gesetzgeber
unverzichtbar sind. In Folge dessen muss das Bundesverfassungsgericht darauf Acht geben,
dass die Grundrechte ihrer Bürger respektiert werden, was auch die verfassungsrechtliche
Kontrolle von Unionsrechtsakten, seien es Primärrechtsakte oder Sekundärrechtsakte,
umfasst. Wie Salinas de Frías präzisierte tat sich die Möglichkeit auf, das Unionsrecht einer
nationalen gerichtlichen Kontrolle unterworfen zu unterwerfen, wodurch sowohl dessen
Anwendungsvorrang sowie dessen unmittelbare Anwendbarkeit herausgefordert wurden, und
darüber hinaus die Einheitlichkeit in seiner Auslegung und Anwendung
24
.
Mit der Entscheidung vom 29. Mai 1974, bekannt als „Solange-Beschluss“ oder
„Solange I- Entscheidung“
25
brach eine große Polemik aus. Die Verfassungsrichter in
Karlsruhe stellten klar, dass sich im Falle einer Kollision von Unionsrecht mit dem durch das
Bonner Grundgesetz garantierten Grundrechtsgarantien letztere durchsetzen würden
26
,
solange nicht die Europäische Union über ein demokratisch gewähltes Parlament mit
eigenem Gesetzgebungsrecht verfügt, vor welchem die europäischen Organe politisch
21
Ángel G. Chueca Sancho, Los derechos fundamentales de la Unión Europea, Bosch, Barcelona, 2. Aufl.,
1999, S. 75.
22
Ingolf Pernice, Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht. Ein Beitrag zum
gemeinschaftsimmanenten Grundrechtsschutz durch d en Europäischen Gerichtshof, Schriften Europäische
Wirtschaft, Rudolf Regul und Christoph Sasse (Herausgeber), Band 96, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-
Baden, 1979, S. 43.
23
Ana Salinas de Frías, La protección de los Derechos Fundamentales en la Unión Europea, Comares,
Granada, 2000, S. 9.
24
Vid. Ibídem, S. 15.
25
BVerfGE 37, 231 – Solange I.
26
Vgl. die Gründe des Solange-Beschlusses in B, I, 4 a. E.: „In diesem Normenkonflikt setzt sich die
Grundrechtsgarantie des Grundgesetzes durch, solange nicht entsprechend dem Vertragsmechanismus die
zuständigen Organe der Gemeinschaft den Normenkonflikt behoben haben“.
6
verantwortlich sind, und über einen dem Grundgesetz ähnlichen Grundrechtskatalog
27
. „Auf
Grundlage dieser Überlegungen hatte das BverfG in der Solange I-Entscheidung eine
Prüfungskompetenz auch bezüglich von EG-Verordnungen bejaht, solange der
Integrationprozess noch nicht zu einem dem GG vergleichbaren Grundrechtsschutz auf EG-
Ebene geführt habe“
28
. Auf diese Weise stellte das Bundesverfassungsgericht eine Reihe
unabdingbarer Kriterien auf, um eine Kontrolle des Unionsrechts durch das
Bundesverfassungsgericht zu vermeiden. Denn nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts
genügte das Unionsrecht voll und ganz dem geforderten Grundrechtsschutz.
29
Meiner Meinung nach geht es in dieser Entscheidung weniger um die Antwort auf die
Frage, ob die angegriffene Regelung des Unionsrechts das Bonner Grundgesetz verletzte (das
Bundesverfassungsgericht stellte keine Verletzung der Grundrechtsgarantien durch die
strittige Verordnung fest), sondern darum, dass ein nationales Gericht die
Verfassungsgemäßheit einer Unionsrechtsnorm überprüft. Hierbei handelt es sich um die
Bezugnahme auf ein prozessrechtliches Prinzip, welches darin besteht, dass ein Rechtsakt der
Union nur vor dem Gerichtshof angegriffen werden darf (vgl. Art. 251-281 AEUV), weil er
entweder in allen Mitgliedsstaaten oder in keinem Mitgliedsstaat anwendbar sein muss. Was
das deutsche Verfassungsgericht in Frage stellte, ist die Einheit und Unteilbarkeit des
Unionsrechts
30
.
Wir stehen also vor einem klassischen Spannungsverhältnis zwischen den Parteien, oder
wie Oppenheim sagen würde, gegenseitiger Beziehungen von Macht. Denn der Gerichtshof
beschließt im Bewusstsein seiner Stellung als gesetzlicher Richter und als höchstes
Auslegungsorgan des Unionsrechts, den Grundrechtsschutz durch seine Rechtsprechung zu
gewährleisten. Seit 1969 entwickelten die Richter in Luxemburg diese Rechtsprechung durch
den Verweis auf die allgemeinen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als
allgemeine Rechtsgrundsätze des Unionsrechts
31
und auf die internationalen Verträge zum
27
Vgl. die Gründe des Solange-Beschluss in B, I, 7 a. E.: „Solange der Integrationsprozeß der Gemeinschaft
nicht so weit fortgeschritten ist, daß das Gemeinschaftsrecht auch einen von einem Parlament beschlossenen und
in Geltung stehen den formulierten Katalog von Grundrechten enthält, der dem Grundrechtskatalog des
Grundgesetzes adäquat ist, ist nach Einholung der in Art. 177 des Vertrags geforderten Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs die Vorlage eines Gerichts der Bundesrepu blik Deutschland an das
Bundesverfassungsgericht im Normenkontrollverfahren zulässig und geboten , wenn das Gericht die für es
entscheidungserhebliche Vorschrift des Gemeinschaftsrechts in der vom Europäischen Gerichtshof gegebenen
Auslegung für unanwendbar hält, weil und soweit sie mit einem der Grundrechte des Grundgesetzes kollidiert.“
28
BVerfGE 37, 271. Christoph Hermann: Examen s-Repetitorium Europarecht. Staatsrecht III, C. F. Müller,
Heidelberg, 2009, S. 82.
29
Ana Salinas de Frías, La protección de los Derechos Fundamentales en la Unión Europea, op. cit., S. 21.
30
Vgl. dazu den Kommentar zum Solange-Beschluss des BVerfG von Diego LÓPEZ GARRIDO,
<>, Boletín de
Jurisprudencia Constitucional. BJC, Nr. 5 8, Cortes Generales, Secretaría General del Congreso d e los Diputados,
Secretaría General desl Estado, 1986, S. 247-248.
31
Der Gerichtshof förderte und beschützte durch seine eigene rechtsprechende Tätigkeit die ju ristische
europäische Integration mit aller Kraft und seine Arbeit zahlte si ch aus. Die Richter in Luxemburg schafften es
dank ihrer Lehre, welche kraft ihrer eigenen belehrenden Anstrengungen auf rechtsvergleich ender Ebene
ausgearbeitet wurde, die Grundrechte als <> zu gestalten. Siehe dazu Peter
HÄBERLE, Teoría de la Constitución como ciencia de la cultura, Tecnos, Madrid, 2000, S. 121. Originalversion
bei Duncker & Humblot, Berlin (RFA), Verfassungslehre als Kulturwissenschaft, Schriften zum öffentlichen
Recht, Band 436, 1. Aufl. 1982, 2. überarbeitete Aufl. 1996. Ferner ähnelt die Berufung des Gerichtshofs auf die
allgemeinen Re chtsgrundsätze derjenigen des französischen Verfassungsgerichts „Conseil Constitutionnel“.
Dieser führte zur gleichen Zeit „die durch die Gesetze der Republik anerkannten grundlegenden
Rechtsgrundsätze“ (Urteil 71-44 vom 16. Juli 1971) als Referenznormen, welche bei der Überprüfung der
Verfassungsgemäßheit von Gesetzen zu beachten sind, ein. Eine noch überzeugendere Ähnlichkeit findet die
7
Schutz der Menschenrechte, welche die Mitgliedstaaten unterzeichneten oder bei denen die
Staaten mitgearbeitet haben
32
. Wie wir wissen schätzte der Gerichtshof in Luxemburg
diesbezüglich besonders die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die am 4.
November 1950 in Rom
33
unterzeichnet wurde und der die Europäische Union nun dadurch,
dass sie mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon eigene Rechtspersönlichkeit
erlangte (Art. EUV)
34
, beitreten kann (Art. 6 EUV).
Der Gerichtshof leitet somit einen Richtungswechsel ein und entscheidet sich, seine
Rechtsprechung im Bereich des Grundrechtsschutzes auf der dreifachen Basis folgender drei
großen Pionierentscheidungen zu erbauen. In der deutschen Auffassung hat folgendes
gegolten: „Als Rechtsvergleichung zu ermittelnden allgemeinen Grundsätze des
Gemeinschaftsrechts angeben (vgl. EuGH Rs. 29/69, Slg. 1969, 419, Stauder); dazu zählen
zum einen die mitgliedstaatlichen Verfassungstraditionen als sog. Rechtserkenntnisquellen
(EuGH Rs. 11/70, Slg. 1970, 1125, Internationale Handelsgesellschaft), zum anderen greift
der EuGH auf die von den Mitgliedstaaten geschlossenen internationalen Verträge zurück,
wobei der EMRK mit Abstand die grösste praktische Bedeutung zukommt (vgl. EuGH Rs.
4/73, Slg. 1974, 491, Nold“
35
. Dadurch überwand das Gericht in Luxemburg seine
sogenannte „Phase der Hemmungen“
36
und begann seine „Phase des Schutzes“
37
.
Theorie des Gerichtshofs in der Berufung des französischen „Conseil d'État“ auf die „allgemeinen
Rechtsgrundsätze“ als Referenznormen b ezüglich der Kontrolle der Gültigkeit von Gesetzen. Franciso Rubio
Llorente führt in seinem Aufsatz <>, Claves de razón práctica, Nr. 122,
Madrid, Mai 2002, S. 5, folgendes aus: „Die Berufung auf allgemeine Rechtsgrun dsätze war in Wirklichkeit ein
Mittel, welches die kontinentalen europäischen Juristen häufig benutzen, mindestens seit dem Beginn der
Kodifizierungsbewegung, um die Unterwerfung des Richt ers unter die geschriebenen Gesetze flexibler zu
gestalten.
32
Es gibt zahlreiche Urteile, in denen der Gerichtshof seine Entscheidungen auf diese Weise begründete.
Vgl. dazu z. B. die Rechtssache 44/79, Liselotte Hauer c. Land Rheinland-Pfalz (Grundrechte auf Eigentum und
auf Berufsausübung). Ein Resümee dieser Entscheidung findet sich im Werk von Hijalte RASMUSSEN, La
Constitución de la Comunidad Económica Europea, Verlag Trivium, Madrid, 1990, S. 42-43.
33
Vid. Angelika Nussberger: Das Völkerrecht, C.H. Beck, München, 2009, S. 98-101.
34
Vid. Waltraud Hakenberg: Europarecht, op. cit., S. 21-22.
35
Vid. También Stein – von Buttlar: Völkerrecht, Carl Heymanns Verlag, Köln-München, 2009, S. 384
36
Ein gutes Beispiel für diese Phase der Enthaltung seitens des Gerichtshofes der Europäischen Union ist d ie
Entscheidung vom 4. Februar 1959, Rechtssache Stork c. Hohe Behörde der Europäischen Gemeinsch aft für Eisen
und Stahl (EGKS), 1/58, Slg. 1958-59, S. 42 ff. In diesem Urteil bewertet der Gerichtshof die von dem deutschen
Unternehmen Stork erhobene Rüge, wonach die Hohe Behörde (so nannte sich die „Kommission“ b is zum
Inkrafttreten des Fusionsvertrages vom 8. April 1965) in ihren Entscheidungen gegen Art. 2 Abs. 1 und Art. 12
Abs. 1 des Grundgesetzes verstoßen habe, mit dem Hinweis für unerheblich, dass er nicht befugt sei „für die
Beachtung solcher innerstaatlichen Vorschriften Sorge zu tragen, die in dem einen oder anderen Mitgliedstaat
gelten, mag es sich hierbei auch um V erfassungsrechtssätze handeln“. Ein Auszug dieser Entscheidung findet sich
bei Andrew Clapham, Human Rights and the European Community: A Critical Overwiew, Band I, Nomos-
Verlagsgesellschaft Baden-Baden, 1991, S. 244-245. Andere Beispiele , welche zeigen, wie es der Gericht shof in
einem ersten Moment ablehnte, Fragen bezüglich Grundrechte zu überprüfen, indem er sich für die Beachtung
nationaler Normen unzuständig erklärte, sind die Entscheidungen „Comptoirs de la Rhur“, Präsident Ruhrkohlen-
Verkaufsgesellschaft mbH, Geitling Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft mbH, Mausegatt Ruhrkohlen-
Verkaufsgesellschaft mbH un d I. Nold KG c. Hohe Behörde E GKS (Rechtssachen 36, 37, 38/59 und 40/59 vom
15. Juli 1960, Slg. 1960). Auch hier wurde eine Nichtigkeitsklage gegen verschiedene Entscheidungen der Hohen
Behörde EGKS erhoben, wobei eine Verletzung des Grundrechts auf Eigentum aus Art. 14 des Grundgesetzes
geltend gemacht wurde. Auch die Entscheidung Acciaierie San Michele SpA c. Hohe Behörde EGKS vom 2.
März 1967, 9 und 58/65, Slg. 1967 , reiht sich in diese Linie des Gerichtshofs ein. In all diesen Fällen verweist der
Gerichtshof hin sichtlich des Grundrechtsschutzes auf die Lösungen, welche in den jeweiligen nationalen
Rechtsordnungen verankert sind – vor allem auf verfassungsrechtlicher Ebene – um verstehen zu geben, dass es
sich dabei nicht um Fragen des Unionsrechts handelte. Man darf nicht vergessen, dass die Rechtsordnung, welche
der Gerichtshof bei seiner Auslegung und Anwendung heranzieht, nur die der Union ist.
8
Es besteht kein Zweifel darüber, dass der europäische Integrationsprozess keine
Erschlaffung des Grundrechtsschutzes mit sich bringen kann
38
, wie es die Maastricht-
Entscheidung aus dem Jahr 1993
39
zum Ausdruck brachte. Wie Arndt/Fischer betonte: „In
seinen „Maastricht“-Urteil (BverfGE, 155) hat das BverfG seine Rechtsprechung präzisiert
und die Grenzen des gemeinschaftsrechtlichen Anwendungsvorrangs aufgezeigt. Es hat sich
nämlich vorbehalten, im Hinblick auf das grundgesetzliche Demokratiegebot zu prüfen, ob
Rechtsakte der europäischen Einrichtungen und Organe sich in in den Grenzen der ihnen
durch das deutsche Zustimmungsgesetz zum Unionsvertrag eingeräumten Hoheitsrechte
halten oder aus ihnen ausbrechen“
40
.
Auf alle Fälle wird sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über die
Anwendbarkeit des sekundären Unionsrechts in einem Kooperationsverhältnis mit dem
europäischen Gerichtshof entwickeln. Es ist interessant festzustellen, wie das deutsche
Bundesverfassungsgericht diese Auffassung in der Entscheidung vom 25. Januar 1995
wiederholte
41
. Damit scheint das Bundesverfassungsgericht seine rückläufige
verfassungsrechtliche Tendenz explizit zu bestätigen, sodass man in jüngster Zeit sogar von
einer gewissen „Entschärfung“ möglicher Konflikte spricht
42
.
Im Wortlaut des BverfG heisst es: „Diese Haltung hat das BverfG in seinem
Bananenmarkt-Beschluss im Jahr 2002 erneut bekräftigt und zugleich die Anforderungen an
einen Vorlagebeschluss nach 100 I GG (konkrete Normenkontrolle) konkretisiert. Erforderlich
für die Zulässigkeit ist demnach, dass das vorlegende Gericht in seiner Begründung darlegt, dass
die europäische Rechtsentwicklung einschliesslich der Rechtsprechung des EuGH nach Ergehen
der Solange II-Entscheidung unter den erforderlichen Grundrechtsstandard abgesunken ist“
43
.
„Diese Voraussetzungen gelten entsprechend für Verfassungsbeschwerden, die in einem EG-
Sekundärrechtsakt unmittelbar angegriffen wird
44
.
Nichtsdestotrotz sollte man die Frage der ,,Entschärfung“ des Konfliktpotenzials in Hinblick
auf das Urteil des BverfG bezüglich des Vertrags von Lissabon neu aufziehen. Hierin verteidigte
das BverfG die Vereinbarkeit des Vertrags von Lissabon mit dem deutschen GG, doch nicht
ohne Wermutstropfen, da es den Mangel an konkreten Fortschritten im europäischen
37
Dazu verweise ich auf mein Buch Los derechos fundamentales en la Unión Europea, Anthropos,
Barcelona, 2005, S. 127-145.
38
Montserrat PI Lloréns, Los derechos fundamentales en el ordenamiento comunitario, Ariel Derecho,
Barcelona, 1999, S. 39.
39
BVerfGE 89, 155. Vid. Rudolf Geiger, Grund gesetz und Völkerrecht mit Europarecht, op. cit.: „In seinem
Urteil hat das Bundesverfassungsgericht allerdings weitreichende Feststellungen zu den rechtlichen
Besonderheiten der Einbindung der Bu ndesrepublik Deutschland in die Europäische Union getroffen. Es hat
ausgeführt, das die Europäische Union kein europäischer Staat, sondern eine völkerrechtsverbundene Organisation
(ein „Staatenverbund“) sei. Diese sei derzeit ausreichen demokratisch legitimiert. Spätere wesentliche Änderungen
des in Unionsvertrag angelegten Integrationsprogramms und seiner Hanlu ngsermächtigungen seien allerdings
nicht mehr vom Vertragsgesetz gedeckt. Sie bedürften der Zustimmung durch ein neues Gesetz“, S. 28.
40
Arndt/fischer: Europarecht, op. cit., S. 100-101.
41
Vgl. Text der Entscheidung in EuR, 1995, Nr. 162, S. 91-95.
42
Montserrat PI Lloréns, <
TJCE: Balance y perspectivas>>, Natividad Fernández Sola (Koordinatorin), Unión Europea y Derechos
Fundamentales en perspectiva constitucional, Dykinson, Madrid, 2004, S. 130. Die Autorin verweist als Beispiel
auf die Entscheidung d es deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juni 2000 sowie auf die Kommentare von
Ingolf Pernice, <>,
Cahiers de Droit Européen, 2001, Nr. 3-4, S. 427-440.
43
BverfGE 102, 147 (164).
44
Vgl. BverfGK 3, 331 (334).
9
Einigungsprozess stark kritisierte
45
. Dieses grundlegende und grundsätzliche Urteil stößt auf
große Resonanz und hat in seiner Aktualität an nichts verloren
46
, wie man aus den zahlreichen
Analysen und Kommentaren verschiedenster Autoren entnehmen kann. Das Urteil bekräftigt
die Befugnisse des BverfG gegenüber dem EuGH, indem es die im deutschen GG vorhandenen
Schranken zum europäischen Integrationsprozess bestätigt. Konkret gesehen verhindert das
BverfG in seiner Entscheidung nicht den Aufbau eines europäischen Verfassungsraums, doch
von den rechtlichen Grundsätzen her hält es das Schwert des Damokles über das europäische
Vorhaben
47
.
Wie schon damals zum Vertrag von Maastricht, stützt sich wiederum das Urteil auf das
Wahlrecht, welches an die Unverletzlichkeit der Prinzipien erinnert, die anhand der Klausel
der Unantastbarkeit die deutsche Verfassungidentität bilden
48
. Wie es Isabel G. Pascual
verdeutlicht: „Auf diese Weise definiert das BverfG die Identität der Verfassung durch seinen
Bezug auf die durch Art. 79 GG.. geschützten Prinzipien, was heißen möchte, dass die
deutsche Verfassungsidentität sich in dem Demokratie-, Sozial- und Rechtsstaat, dem
Föderalismusprinzip und der Menschenwürde wiederfindet. Keine Institution darf über
besagte Verfassungsidentität verfügen, deren Garant das BverfG ist“
49
. Das Urteil zeigt, dass
die Umsetzung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften blockiert werden kann, wenn die
vertragsrechtlichen Befugnisse überschritten werden oder der deutschen
verfassungsrechtlichen Identität geschadet wird, da letztere allen Einrichtungen auf
europäischer oder internationaler Ebene eine absolute Grenze setzt
50
. Hierüber hinaus richtet
die Entscheidung harte Kritik gegen die Rechtssprechung von Luxemburg
51
. Anders als in
dem Aufruf zur Zusammenarbeit mit Luxemburg in dem Urteil zu Maastricht, behält sich
das BverfG in diesem Urteil das Recht vor, zu prüfen, ob der EuGH in seiner Rechtsprechung
eine zu breite Auslegung der Verträge vertritt, welches einer unzulässigen eigenständigen
Änderung der Verträge entspräche
52
.
Das BverfG bekräftigt somit seine Zuständigkeit für die deutsche [d. h. nationale]
Rechtsordnung, und definiert die Eigenständigkeit der EU als rein administrative
Eigenständigkeit innerhalb des rechtlichen Raums, welcher ihr ausdrücklich von den Staaten
zugewiesen wurde
53
. Das BverfG scheint sich gegen jedwede Änderung im
verfassungsrechtlichen Paradigma zu wenden, indem es sich gegen die immer häufiger
45
M. Kottmann/ Ch. Wohlfahrt: <>, ZäöRV Nº 69, 2009, S. 443.
46
Zum Beispiel, A. Bogdandy: < der Rechtsfortbildung im europäischen Rechtsraum
Überlegungen zum Lissabon. Urteil des BverfG>>, NJW, 2010, 1 ff.; M. Kottmann/ Ch. Wohlfahrt, op. cit., 443
ff.; F. Gärditz/ Ch. Hillgruber: <
BverfG>>, JZ, 2009, 872 ff.; C.D. Classen: <
Prokrustestbett?>>, JZ, 2009, 881 ff., M. Ruffert: <
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon>>, DVB l, 2009, 1197 ff. Auch vid. German Law
Journal, nº 8, 2009.
47
J. CASPAR: <rundrechtsgarantien und sekundäres Gemeinschaftsrecht>>, DöV, 2000, S. 370.
48
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Párrafo 208. www.bundesverfassungsgericht.de
49
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Párrafo 218. www.bundesverfassungsgericht.de.
Vid. María Isabel González Pascual: <>, en
http://www.acoes.es/congresoVIII/documentos/ponenciaMaribelPascual.pdf
50
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Párrafo 219. www.bundesverfassungsgericht.de
51
F. Schorkopf: <
Treaty of Lisbon>> GLJ, vol. 10, 2009, S. 1127.
52
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Párrafo 338. www.bundesverfassungsgericht.de
53
BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Párrafo 231. www.bundesverfassungsgericht.de
10
geäußerte Behauptung, das Verfassungsrecht habe ihre Eigenständigkeit verloren
54
, zur Wehr
setzt.
Auch das italienische Bundesverfassungsgericht „la Corte Costituzionale“ äußerte sich
zum Thema der Grundrechte, wenn auch die Beziehung zwischen dem Unionsrecht und dem
nationalen Recht in Italien eine besondere Bedeutung hatte; dies ist vor allem auf die
Schwierigkeiten, sich an die strukturellen Prinzipien des Unionsrechts, und genauer gesagt,
an den Vorrang der Unionsrechtsnormen anzupassen, zurückzuführen. Wie leicht festgestellt
werden kann, so stimmt die Haltung der italienischen Verfassungsrechtsprechung mit der
Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts darin überein, dass sowohl die
eine wie die andere der Ausübung einer Kontrolle der Verfassungsgemäßheit des
Unionsrechts im Falle einer Verletzung von Grundrechten zustimmten. Trotzdem war die
italienische Haltung gemäßigter, insofern als sie anerkannte, dass die Grundrechte auf
europäischer Ebene geschützt waren und sie es für rein hypothetisch und unwahrscheinlich
hielt, dass es zu einem Widerspruch zwischen Unionsrechtsnormen und Prinzipien oder
Rechten des nationalen Verfassungsrechts kommen könnte; daher war der italienische
Vorbehalt theoretischer als der deutsche
55
. Ein gutes Beispiel dafür sind die Entscheidungen
Frontini (1973), Granital (1984) und Fragd (1989).
Es bleibt mir noch, darauf aufmerksam zu machen, dass sich das deutsche
Bundesverfassungsgericht angesichts der schwachen demokratischen Legitimation der Union
scheinbar mehr um die Bestätigung des Demokratieprinzips sorgt, weshalb es auf die
Notwendigkeit einer wahren Gesetzgebungskompetenz des Europäischen Parlaments oder
eines ausführlichen Grundrechtekatalogs beharrte; dagegen scheint sich das italienische
Verfassungsgericht mehr für die bereits existierende Beziehung zwischen dem Unionsrecht
und dem nationalen Recht zu interessieren.
Neben Deutschland und Italien betonte auch Dänemark
56
, in Form einer Drohung
gegenüber dem Gerichtshof in Luxemburg, die Möglichkeit einer verfassungsgerichtlichen
Kontrolle des Unionsrechts. Diese drei Länder schienen ihren Gerichten die Kompetenz zu
bewahren, direkt oder indirekt die Anwendung europäischer Normen auf ihren nationalen
Herrschaftsgebieten auszusetzen, solange Grundrechte verletzt würden; auf diese Weise
erhält der Vorrang des Unionsrecht eine unpassierbare Schranke, was die Anpassung des
Unionsrechts an die grundlegenden Prinzipien des verfassungsrechtlichen Schutzes der
Grundrechte in den nationalen Systemen betrifft. Poyal Costa führt dazu folgendes aus: „Eine
solche Einstellung bedrohte den Vorrang des Unionsrechts und seine Effektivität auf
54
P . M. Huber: < Verhältnis des Europäischen Gerichtshofes zu den nationalen Gerichten>>
,Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa Merten, D. und Hans-Jürgen Papier, H. J, (Hrsg.) B. 6/2,
2009, S. 152.
55
Vgl. Araceli Mangas Martín, Derecho co munitario europeo y derecho español, Tecnos Madrid, 2. Aufl.,
1987, S. 151. Gil Carlos Rodríguez Iglesias und Alejandro Valle Gálvez, <
relaciones entre el Tribunal de Justicia de las Comunidades Europeas, el Tribunal Europeo de Derechos Humanos
y los Tribunales Constitucionales nacionales>>, Revista de Derecho Comunitario Europeo, 2, Band I,
Juli/Dezember 1997, Centro de Estudios Políticos y Constitucionales, Madrid, S. 364.
56
In seiner Entscheidung vom 12. August 1996 gestand das Verfassungsgericht von Dänemark elf Bürgern
ein ausreichendes Interesse zu, um eine umfassende gerichtliche Kontrolle hinsichtlich der Vereinbarkeit des
Beitritts Dänemarks zum Maastri cht-Vertrag mit der dänischen Verfassung, insb esondere mit Art. 20 I derselben,
zu verlangen. Diese Entscheidung beinhaltet Bruch mit der vorhergehenden Rechtsprechung d es dänischen
Verfassungsgerichts, weil die Übertragung von souveränen Kompetenzen in Frage stellt mit der Behauptung, dass
die verfassungsrechtlichen Grenzen überschritten sind.
11
nationaler Ebene
57
. Zudem wird das Prinzip der Einheit der Unionsrechtsordnung gefährdet,
weil die Garantien, welche den Mitgliedsstaaten zugestanden werden je nach den
verschiedenen nationalen Systemen variieren können“
58
. Aus all diesen Gründen und wegen
der zwingenden Notwendigkeit, die <> des bereits vorher
<> zu verhindern
59
, erwies es sich als erforderlich, dafür zu kämpfen, damit
der Schutz der Grundrechte auf europäischer Ebene in der Weise angeordnet wurde, dass es
nicht mehr zu Konflikten mit den nationalen Rechtsordnungen kommen konnte.
Diesbezüglich oblag den luxemburgischen Richtern die Aufgabe, das komplette Unionsrecht
im Einklang mit den Verfassungsgrundsätzen, welche den Mitgliedstaaten gemeinsam waren,
auszulegen. Der Gerichtshof musste die Rechtsprechung der nationalen Verfassungsgerichte
identifizieren und mit hinreichender Weite formulieren, wobei er unter anderem Elementen
die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte beachten musste
60
. Gleichzeitig erhoffte man
sich von diesen nationalen Rechtsprechungsorganen, dass sie ihrerseits mit ihrer eigenen
Tätigkeit dazu beitrügen, dem Unionsrecht Effektivität zu verschaffen.
Europäer, wie auch die Bürger in anderen Teilen der Welt, sind sich ihrer Privatsphäre,
ihrer Rechte und deren Durchsetzung bewusst geworden, auch im Rahmen der neuen
virtuellen Medien, die zuerst fast unkontrollierbar schienen. Die europäische Politik zum
Schutz personenbezogener Daten zielt darauf ab, ein Gleichgewicht zwischen einem hohen
Schutz der Privatsphäre und dem freien Verkehr personenbezogener Daten innerhalb der
Europäischen Union zu schaffen. Zu diesem Zweck wurden strenge Beschränkungen für die
Erhebung und Verwertung personenbezogener Daten eingeführt und in allen Mitgliedstaaten
die Einrichtung unabhängiger nationaler Stellen gefordert, deren Aufgabe der Schutz dieser
Daten ist. Ganz konkret hat der Datenschutz seine feierlichste Anerkennung im achten
Artikel der Grundrechtscharta der Europäischen Union
61
bekommen, welcher in den Vertrag
57
Ich möchte darauf hinweisen, dass, obwohl sich die Diskussion um die Grundrechte gewöhnlich auf d ie
Haltungen d er deutschen und italienischen Verfassungsrechtsprechung konzentriert, die Verfassungsgerichte im
Allgemeinen ungern den Vorrang des Unionsrechts vor dem eigenen Verfassungsrecht anerkennen, abgesehen von
dem belgischen „Conseil d'État“. Der Widerwille der nationalen Verfassungsgerichte das Prinzip des Vorrangs des
Unionsrechts mit jener Reichweite, welche ihm der Gerichtshof zuspricht, anzuerkennen, versteht sich von selbst,
wenn man bedenkt, dass der Vorrang der Verfassung die denknotwendige Voraussetzung für dieser Gerichte
darstellt; auf diese Weise bestätigen sich sowohl das Unionsrecht als auch das nationale Verfassungsrecht selbst
mit der Forderung des eigenen Vorrangs. Siehe dazu Gil Carlos Rodríguez Iglesias, <
y Derecho Comunitario>>, in: Hacia un nuevo orden internacional y europeo. Estudios en homenaje al Profesor
D. Manuel Díez de Velasco, op. cit., S. 1175-1200, genauer S. 1191 und S. 1200 und Gil Carlos Rodríguez
Iglesias und Alejandro Valle Gálvez, <
Comunidades Europeas, el Tribu nal Europeo de Derechos Humanos y los Tribunales Constitucionales
nacionales>>, Revista de Derecho Comunitario Europeo, 2, Band I, Juli/Dezember 1997, op. cit., S. 373-374.
58
Ana Poyal Co sta, Los derechos fundamentales en la Unión Europea, Universidad Nacional de Educación
a Distancia UNED, Madrid,1997, S. 94-95.
59 Dazu Ángel G. Chueca Sancho, Los derechos fundamentales en la Unión Europea, op. cit., S. 75-76 und
Gil Carlos Rodríguez Iglesias und Alejandro Valle Gàlvez, <
Tribunal de Justicia de las Comunidades Europeas, el Tribunal Europeo de Derechos Humanos y los Tribunales
Constitucionales nacionales>>, Revista de Derecho Comunitario Europeo, 2, Band I, Juli/Dezember 1997, op. cit.,
S. 375.
60
Gil Carlos Rodríguez Iglesias, <>, in: Hacia un
nuevo orden internacional y europeo. Estudios en homenaje a l Profesor D. Manuel Díez de Velasco, op. cit., S.
1200.
61
Art. 8 Grundrechtecharta (Schutz personenbezogener Daten):
1. Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.
2. Diese Daten dürfen nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der
betroffenenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Jede
12
von Lissabon aufgenommen wurde: „Das Recht auf Datenschutz soll uns die Befugnis
erteilen, unsere eigenen persönlichen Daten zu verwalten und zu bestimmen, wie sie und zu
welchem Zweck sie benutzt werden, um den unerlaubten Handel derselben zu verhindern,
durch welchen unsere Würde und Rechte zu Schaden kommen“
62
.
Die Schaffung eines Rechtes auf Datenschutz ist Ergebnis eines Dialogs und einer
ständigen Interaktion zwischen dem allgemeinen Rechtsverständnis (Doktrin), den
Gesetzgebern auf der Welt, Gemeinschafts-
63
, und Staatsebene, und der Rechtssprechung auf
diesen drei Ebenen. Wie bereits Murillo behauptet: ,,Am Ende war es der Zusammenfluss
von Faktoren unterschiedlicher Natur (Gesetzgebung, Rechtssprechung, Politik) und Umfang
(staatlich, gemeinschaftlich, international), der unseren Verfassungsgericht dazu bewegt hat,
ein neues Grundrecht bezüglich des Schutzes personenbezogenen Daten anzuerkennen,
welches eigenständig definiert wird und sich von dem Recht auf eine Privatsphäre abgrenzt,
obzwar hierfür auf vorhergehende Rechtsgrundsätze verwiesen wird, die diesen Schritt
befürworteten
64
“. In der Tat hat das spanische Verfassungsgericht in seinen Entscheidungen
(wie z.B. STC 292/2000 und 290/2000) sich auf verschiedene internationale Rechtsakte
berufen, die diese Grundrecht betreffen, so wie es auch Artikel 10.2 der spanischen
Verfassung vorsieht. Konkret bediente sich das Verfassungsgericht nicht nur der
Grundrechtscharta der Europäischen Union, sondern auch des Beschlusses 45/95 der
Generalversammlung der Vereinten Nationen, in dem eine überarbeitete Fassung der
Richtlinien zu personenbezogenen Rechnerdateien ausgearbeitet wird. Natürlich reflektiert
die Rechtssprechung des spanischen Verfassungsgerichts auch die Konvention zum Schutz
der Personen bei der automatischen personenbezogenen Datenverarbeitung, ratifiziert in
Straßburg am 28. Januar 1981, und die Richtlinie 95/46 zum Schutz der natürlichen Personen
bei der personenbezogenen Datenverarbeitung und dem freien Datenverkehr. Die nationalen
Verfassungsgerichte in Europa haben sich willens gezeigt, die Entscheidungen des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu respektieren, sofern diese
Einschränkungen in den Garantien der individuellen und familiären Privatsphäre bezüglich
des personenbezogenen Datenverkehrs sehen, wenn es um die Staatssicherheit (Fall Leander,
Person hat das Recht, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der
Daten zu erwicken.
3. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von einer unabhängigen Stelle überwacht.
62
Siehe Andrés Ollero Tassara: De la protección de la inti midad al poder de control sobre los datos
personales. Exigencias jurídico-naturales e histo ricidad en la jurisprudencia constitucional, Vortrag zur
Einweihung als Académico de Número vom 18. No vember 2008, Real Academia de Ciencias Morales y Políticas,
Madrid, Spanien. Siehe auch Antonio Fernández Tomás: La Carta de Derechos Fundamentales de la Unión
Europea, Tirant Monografien 228, Tirant lo blanch, Valencia, 2001.
63
Siehe Art. 16 AEUV -Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union- (Datenschutz) ex Art. 286
EVG:
1. Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten.
2. Das Europäische Parlament und der Rat erlassen gemäss dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren
Vorschriften üben den Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die
Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der
Ausübung von Tätigkeiten, die in den Anwendungsbereich des Unionsrecht fallen, und über den freien
Datenverkehr. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird von unabhängigen Behörden überwacht.
Die auf der Grundlagen dieses Artikels erlassenen Vorschriften lassen d ie spezifischen Bestimmungen des
Artikels 39 des Vertrags über die Europäische Union unberührt. Siehe Ro lf Schwartmann (Hrsg.) Der Vertrag von
Lissabon. EU-Vertrag, Vertrag über die Arbeitsweise der EU –Konsolidierte Fassungen-, 3 Auflage, C.F. Müller
Verlag, Heidelberg, 2010.
64
Pablo Lucas Murillo d e la Cueva/ José Luis Piñar Mañas: El d erecho a la autodeterminación informativa,
Fundación Coloquio Jurídico Europeo, Madrid, 2009, S. 43.
13
1987) oder der Verfolgung von Straftaten geht (Fälle Z, 1997 und Funke, 1993). Diese
Einschränkungen müssen laut dem Europäischen Gerichtshof gesetzlich geregelt und nur das
Wesentliche für die Funktionsfähigkeit einer demokratischen/eine demokratische
Gesellschaft betreffen. Dies bedeutet, dass solche Gesetze den betroffenen Personen
zugänglich sein müssen, dass die Konsequenzen einer Anwendung dieser vorhersehbar sind,
dass sie einer dringenden Notwendigkeit dienen und dass die Massnahmen geeignet und
verhältnismässig sind, um das erklärte Ziel zu erreichen (Fall X und Y, 1985; Fall Leander,
Fall Gaskin, 1989, Fall Funke, 1993, Fall Z, 1997)
65
.
Nun gut, einer der großen Beiträge des Vertrages von Lissabon wird es sein, dabei zu
helfen, das Ineinandergreifen der rechtlichen Machtverhältnisse zwischen der
Unionsrechtsordnung und den nationalen Rechtsordnungen verständlich zu machen. Ein
komplexes Normengeflecht wird versuchen, die Kompetenzen der Mitgliedstaaten klar von
den Kompetenzen der Union abzugrenzen, und darüber hinaus ein demokratischeres
parlamentarisches Modell zu schaffen, in welchem die Vorschläge der europäischen Bürger
widergespiegelt werden, die Grundrechte eindeutig in einem Katalog gebündelt sind und die
Errichtung Europas auf ein <ropa der Bürger>>
66
gestützt wird – ein Europa, das sicher
und für alle gleich ist und nicht nur auf Basis einer legitimen, sondern auch einer
legitimierten Macht steht.
Zum Schluss möchte ich noch darauf hinweisen, dass aus dem Vertrag von Lissabon
diejenige Vorschrift des Vertrages über eine Verfassung für Europa (VVE), welche sich zum
ersten Mal ausdrücklich auf den Vorrang des Unionsrechts bezog (Art. I – 6 VVE),
verschwunden ist. Die Norm bezüglich des Vorrangs des europäischen Rechts wurde
stattdessen durch eine Erklärung ersetzt, welche sich darauf beschränkt daran zu erinnern,
„dass die Verträge und das von der Union auf der Grundlage der Verträge gesetzte Recht im
Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unter
den in dieser Rechtsprechung festgelegten Bedingungen Vorrang vor dem Recht der
Mitgliedsstaaten haben“
67
. Trotzdem beschloss die Regierungskonferenz, dass das Gutachten
des Juristischen Dienstes des Rates zum Vorrang der Schlussakte beigefügt wird. In dem
Gutachten heißt es unter anderem ganz deutlich, dass sich „der Vorrang des EG-Rechts (…)
aus der Besonderheit der Europäischen Gemeinschaft“ ergibt
68
.
Meines Erachtens kann der bedeutende Wert des unverzichtbaren Vorrangprinzips (der
Rechtsprechung) nicht bezweifelt werden, sosehr auch versucht wird, es in einer Erklärung
„zu verstecken“, anstatt es in den Vertrag zu schreiben. Und auch wenn es nicht ausdrücklich
in dem Vertrag von Lissabon geschrieben steht, so wird nichts die unumstrittene Tatsache
ändern, dass die grundlegende Legitimität der Mitgliedsländer als „Herren der Verträge“
65
Siehe auch op. cit., S. 40-41.
66
Peter Häberle, <
desarollo del Derecho constitucional nacional sobre Europa>> in: Retos actuales del Estado Constitucional,
Auswahl und Überwachung von Iñaki Lasagabaster Herrarte, Übersetzung von Xavier Arzoz Santiesteban, Herri
Arduralaritzaren Euskal Erakundea (IVAP), Oñati, 1996, S. 125. Originaltitel, <
Verfassungen und Verfassungsentwürfe – d er Ausbau von nationalem „Europaverfassungsrecht“>>, O. Due, M.
Lutter, J. Schwarze (Herausgeber) in: Festschrift für Ulrich Everling, Nomos, Baden-Baden, 1995, S. 161-173.
Siehe dazu auch den Prolog von Antonio LÓPEZ PINA, <> zum
Buch von Peter Häberle, Libertad, igualdad, fraternidad. 1789 como historia, actualidad y futuro del Estado
Constitucional, Trotta, Madrid, 1998.
67
Erklärung Nr. 17 zur Schlussakte der Regierungskonferenz, die den am 13. Dezember 2007
unterzeichneten Vertrag von Lissabon angenommen hat (Abl. C 306 vom 17.12.2007, S. 249).
68
Vgl. das Gutachten des Juristischen Dienstes des Rates zum Vorrang in der Fassung des Dokuments
11197/07 (JUR 260) vom 22. Juni 2007 am Ende der Erklärung Nr. 17 zur Schlussakte der Regierungskonferenz.
14
bereits heute von einer gewissen zusätzlichen demokratischen Legitimität begleitet wird.
Diese zusätzliche Legitimität geht erstens von der allgemeinen unmittelbaren Wahl des
Europäischen Parlaments aus und zweitens natürlich von der Gleichstellung des Parlaments
mit dem Rat in dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren, wie es der Vertrag über eine
Verfassung für Europa vorsah; diesbezüglich ändern sich weder die Fälle, in welchen dieses
Gesetzgebungsverfahren erfolgt, noch wird die Einstimmigkeit im Rat für viele Fälle durch
die qualifizierte Mehrheit ersetzt. Als erfolgreich wurde derjenige hervorgehoben, der sich
sagte, dass der Verzicht auf den Begriff der Verfassung ein Zugeständnis an den politischen
Diskurs ist, eben genau um den Inhalt der Verfassung zu retten
69
.
Referenzen
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Überlegungen zum Lissabon. Urteil des BverfG, NJW, 2010, 1 ff.;
2. Ana Poyal Costa, Los derechos fundamentales en la Unión Europea, Universidad
Nacional de Educación a Distancia UNED, Madrid,1997, S. 94-95.
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4. Ana Salinas de Frías, La protección de los Derechos Fundamentales en la Unión
Europea, op. cit., S. 21.
5. Andrés Ollero Tassara: De la protección de la intimidad al poder de control sobre los
datos personales. Exigencias jurídico-naturales e historicidad en la jurisprudencia
constitucional, Vortrag zur Einweihung als Académico de Número vom 18. November 2008,
Real Academia de Ciencias Morales y Políticas, Madrid, Spanien. Siehe auch Antonio
Fernández Tomás: La Carta de Derechos Fundamentales de la Unión Europea, Tirant
Monografien 228, Tirant lo blanch, Valencia, 2001.
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Barcelona, 2. Aufl., 1999, S. 75.
7. Angelika Nussberger: Das Völkerrecht, C.H. Beck, München, 2009, S. 98-101.
8. Arndt/Fischer: Europarecht, C.F. Müller, 9ª Auflage, Heidelberg, 2008, S. 99-100.
9. C.D. Classen: Legitime Stärkung des Bundestages oder verfassungsrechtliches
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10. Christoph Hermann: Examens-Repetitorium Europarecht. Staatsrecht III, C.F.
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11. Diego López Garrido, Derecho comunitario y defensa de los derechos fundamentales
por el Tribunal Constitucional, in Boletín de Jurisprudencia Constitucional. BJC, Nr. 58,
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13. F. Gärditz/ Ch. Hillgruber: Volkssouveränität und Demokratie ernst genommen- Zum
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69
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15
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(Herausgeber), Band 96, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 1979, S. 43.
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José Martín y Pérez de Nanclares: Estudio Preliminar, Real Instituto Elcano.
http://www.realinstitutoelcano.org/especiales/EspecialFuturoEuropa/docs/TratadoLisboa2007
/Perez_Nanclares_estudhio_preliminar_def.pdf
26. M. Kottmann/ Ch. Wohlfahrt: Der gespaltene Wächter?, ZäöRV Nº 69, 2009, S. 443.
27. M. Ruffert: An den Grenzen des Integrationsverfassungsrechts: Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon, DVB l, 2009, 1197 ff. Auch vid.
German Law Journal, nº 8, 2009.
28. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen, 1922, S. 28.
29. Montserrat PI Lloréns, El ámbito de aplicación de los Derechos Fundamentales en la
jurisprudencia del TJCE: Balance y perspectivas, Natividad Fernández Sola (Koordinatorin),
Unión Europea y Derechos Fundamentales en perspectiva constitucional, Dykinson, Madrid,
2004, S. 130.
30. Montserrat PI Lloréns, Los derechos fundamentales en el ordenamiento comunitario,
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31. P. M. Huber: Das Verhältnis des Europäischen Gerichtshofes zu den nationalen
Gerichten, Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa Merten, D. und Hans-
Jürgen Papier, H. J, (Hrsg.) B. 6/2, 2009, S. 152.
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BVerfG, 2 BvE 2/08 vom 30.6.2009, Párrafo 208. www.bundesverfassungsgericht.de.

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